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Glosse

Quelle: PC Magazin, Ausgabe 12/2002

Kinderspiel
Warum Kinder Gewalt brauchen, was Mäuse mit Tellerminen zu tun haben und immer wieder PISA.
(von Michael Ausserbauer)
Happiness is a warm gun
(John Lennon/Paul McCartney)


Kinder brauchen Gewaltdarstellung - so argumentieren gegenwärtig Wissenschaftler vor einem amerikanischen Gericht, um die Harmlosigkeit von Computerspielen aufzuzeigen. Soll heißen: Ballerspiele sind nicht so übel. Letztlich dienen sie der Seelenhygiene. Besonders der von 10- bis 15-Jährigen. Natürlich auch von noch Jüngeren. Jede Mutter weiß: Wenn ihr Nesthäkchen das Märchen von Hänsel und Gretel hört, wo die böse Hexe am Ende verbrennt, dann sind die anschließenden zweiwöchigen Angstneurosen des Kleinkindes in Wahrheit nur eine Auseinandersetzung mit Sachverhalten wie Recht und Unrecht. Kinder lieben brennende Menschen, platzende Schädel und Kuttelsalat. Erst recht, wenn sie im Rahmen strategischer Bildschirmoperationen erzeugt werden.
In Wirklichkeit ist es doch so: Aus angstgeplagten Pickelfratzen werden gelöste und entspannte Erwachsene, die sich nur ganz selten benehmen wie Chuck Norris oder der Terminator. Und die wirklich nur manchmal durch die Fußgängerzone laufen und mit einem Schrei "Stirb, verdammter Camper" einen Mann hinter seinem Gemüsestand enthaupten.
Letztlich sollte das erziehungspolitisch berücksichtigt werden. Wenn schon die vergangene PISA-Studie unseren Kiddies das Bildungsniveau einer Griesklößchensuppe, die Gelehrsamkeit von zehn Metern Feldweg und die Intelligenz von Seegurken unterstellt, ließe sich das mit adäquaten Mitteln doch beheben. Beispiel Textaufgabe: Du spielst Unreal Tournament, außer Dir sind noch sieben Bots (künstlich erzeugte Gegner) im Spiel. Zwei machst du mit deinen Razors alle, weitere zwei pulverisierst du mit deinem Rocket-Launcher und einen perforierst du mit deiner Minigun. Wieviel Liter Blut überschwemmen die Spielfläche? Und wenn man schon einmal dabei ist, schließt sich interdisziplinär eine Übung zum Sprachverständnis an. Suche weitere Wörter für töten: a.: killen, b.: himmeln, c.: umnieten, d.: Toasbrot. Was passt nicht?
Logisch: Kinder brauchen Gewalt. Als Kompensation für ihre Machtlosigkeit. Was kümmert Lesen und Schreiben, wenn man seine Probleme auch final biologisch lösen kann? Auf jedenfall wird langweiliger Unterricht wieder echt spannend: "Zwei plus vier ist nicht wirklich acht, kleiner Dieter" sagt da der Lehrer vorsichtig zu seinem Klassenprimus, der heute im Kampfanzug erschienen ist.
Und weil die Dieter eigentlich mit Headshooter angesprochen werden will, heute einen hundsmiserablen Tag hat, ist vielleicht schon wenige Tage später Lehrerbegräbnis. Da rächen sich die Jahrhunderte körperlicher Züchtigung, die Pädagogen früher ihren Schülern zuteil werden ließen. "Kinder an die Macht", sang Herbert Grönemeyer vor ein paar Jahren. Hätte nicht ganz so schnell gehen müssen. Und Herbert krakeelt jetzt auch lieber allgemein von "Mensch". Erkenntnissen wie der, dass Kinder Gewalt brauchen wie ihre tägliche Uzi, werden sich auch die Fernsehsender beugen müssen: In der Sendung mit der Maus wird dann gezeigt, wie man eine Tellermine baut und einsetzt: "Da geht Herr Schmidt. Herr Schmidt weiß noch nicht, was ihn erwartet. Jetzt tritt Herr Schmidt auf die Tellermine, Das gibt einen großen Krach und jetzt liegt Herr Schmidt am Boden und schreit 'Mein Bein, mein Bein'. Obwohl es gar nicht mehr da ist. Klingt komisch, is' aber so."
Richtig: Kinder brauchen Gewaltdarstellung. Uns wurde sie ja vorenthalten von übervorsichtigen Eltern, die aus schierer Angst, ihr Sohn könnte Massenmörder werden, alles Gewalttätige aus unserer Umgebung verbannt haben. Die uns statt Märchen die Geschichten von Martin Luther King und dem netten Mahatma erzählt haben. Wahrscheinlich ist deshalb aus unserer Generation nichts geworden. Aber das kann man nachholen. Wetten?


GLOSSE-BILD aus PC-Magazin 12/2002 (97kB / 640*503)
Quelle: PC Magazin, Ausgabe 12/2002